Freitag, 3. März 2023

Depression

Das etwas mit mir nicht stimmt, ich meine gemütsmäßig, habe ich schon lange gemerkt. Ich war deswegen schon im Dezember das erste Mal bei meinem Hausarzt und habe ihn meine Symptome geschildert. Damals hat mich vor allem die sehr starke Antriebsschwäche belastet, aber auch, dass ich immer mehr die Freude an Dingen verloren habe, die mir früher sehr gut gefallen haben. Die letzten zwei Jahre habe ich auch gemerkt, dass ich mich immer mehr zurück gezogen habe und es mir immer schwerer gefallen ist, nach draußen zu gehen. Mit der Zeit ist dann auch eine immer wieder kehrende gedrückte Stimmung, bis hin zur Verzweiflung, gepaart mit Hoffnungslosigkeit und dem Gefühl eine totale Versagerin zu sein, hinzugekommen. Wenn ich mich ganz besonders schlecht gefühlt habe, war es für mich ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass ich dies jederzeit beenden könnte, wenn ich mir selbst das Leben nehmen würde. Diese Gedanken machten mir dann besonders Angst, denn natürlich möchte ich leben. Ich war ständig müde und wollte mich am liebsten nur in mein Bett verkriechen und mich nicht mehr bewegen müssen. Im Bett, wenn ich regungslos da lageund mich die Schwerkraft erfasst hatte, schaffte ich es fast nicht mehr, aus dem Bett zu kommen, obwohl ich wußte, dass ich jederzeit hätte aufstehen könnte, wenn ich nur gewollt hätte, aber dieser Wille, selbst wenn er da gewesen wäre, kam bei meinen Gliedmaßen nicht an. Außerdem, warum sollte ich mich bewegen, im Bett hatte ich wenigstens keine Schmerzen, die mich oft plagen. Gerade meine Beine schmerzen, aber auch der Rest, fühlt sich irgendwie schmerzhaft an. Klar das mir ab und zu die Beine schmerzen, ich habe ja auch zwei künstliche Hüftgelenke, aber bei den Schmerzen helfen dann auch keine Schmerzmittel, die ja auch noch nehme. Im warmen Bett fühlte/fühle ich mich geborgen und wohl und die Welt kann mich mal.

Als ich beim Arzt war und ihm meine Symptome schilderte, ist er dann auch auf den Gedanken gekommen, dass es sich um eine Depression handeln könnte. Dabei war dies nicht das erste Mal, dass ich ihm sage, dass ich mich oft müde und antriebslos fühle. Er hat die letzten Jahre, mehrfach mein Blut untersuchen lassen und meistens war alles in Ordnung, selbst der TSH-Wert ist in Ordnung. Irgendwann meinte er, ich sei vielleicht nur vom Typ her etwas melancholisch veranlagt, was ich aber so nicht annehmen kann, da ich mich frühere eher als sehr lebensfroh und neugierig erlebt habe. Er schlug auch diesmal vor eine Blutuntersuchung zu machen, nur um auszuschließen, dass nichts anderes dahinter steckt. Er gab mir dann auch den Rat, es vielleicht erst mal mit einem pflanzlichen Mittel zu versuchen, bevor er Antidepressiva verschreiben würde. Weiterhin meinte er, ich soll mehr raus gehen, mich bewegen und Sport machen. Alles Sachen, von denen ich auch weiß, dass sie antidepressiv wirken können, aber ich habe immer das Gefühl, wenn man mir diese Ratschläge gibt, ist das so, als wenn man einer Person, die gerade im Sumpf versinkt und um ihr Leben kämpft, den Rat gibt, sie solle sich doch an ihren eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Das konnte aber, so weit ich weiß, nur Baron Münchhausen. Ich würde dies alles gerne machen, was mir mein Arzt vorgeschlagen hat, aber ich hatte nicht den Antrieb dazu. Es ging einfach nicht. Ich war jeden Tag froh, wenn ich es ins Büro geschafft habe und freute mich dann noch mehr, wenn ich Abends wieder nach Hause kam und mich erst mal ins Bett legen konnte, weil ich keine Kraft mehr hatte, irgendwas zu machen. Da lag ich dann für ein, zwei oder drei Stunden, bis ich es dann irgendwann mal schaffte wieder aus dem Bett zu kommen. Meistens musste ich dann einfach aufstehen, weil mich die Natur dazu zwangt und ich zur Toilette musste. Wenn ich dann aufgestanden bin und ich mich erleichtert hatte, ging ich sofort aufs Sofa und schaute dort YouTube Videos oder Animes, wobei ich dann oftmals den gleichen Anime immer wieder anschaute, weil ich mich nicht darauf einlassen konnte, etwas neues zu erleben, da ich die Gefühle die mir unbekannte Geschichten vermittelten, oftmals als zu belastend empfand und nicht aushalten konnte. Irgendwann ging ich dann ins Bett, oftmals zu spät, weil ich mich dann am Abend meistens wieder etwas besser fühlte.

Ich bin dann trotz all dieser Gefühle und den damit verbundenen Problemen, im Dezember nach Tokio gereist. Ich habe mich sogar darauf etwas gefreut. Die Aussicht auf die Reise nach Tokyo gab mir wieder das Gefühl der Zuversicht. Zum Glück musste ich in Tokyo jeden Tag raus und mich bewegen und ich habe mich dreimal mit meiner Freundin und Tandempartnerin getroffen und mit ihr zusammen etwas unternommen. Mir ist es dort zwar auch schwer gefallen, morgens aufzustehen, aber es ging doch leichter als zu Hause. Allerdings bin ich Abends dann auch wieder im Bett gelandet und habe das Programm gemacht, was ich sonst auch zu Hause mache. Ich hatte zwischendurch auch ab und zu das Gefühl, das es jetzt endlich besser wird und ich dachte, dass es das pflanzliche Mittel sei, dass ich seit dem Arztbesuch einnahm. Im nachhinein betrachtet, hatte ich nicht so viel Spaß, wie die zweimal zuvor als ich in Tokyo war, aber alleine, dass ich nach über zwei Jahren wieder nach Tokyo reisen konnte, hat mir doch etwas Auftrieb gegeben. Wieder zu Hause hatte ich zum Glück noch zwei Wochen Urlaub und so war es mehr oder weniger egal, ob ich morgens etwas länger im Bett geblieben bin oder nicht. Nichtsdestotrotz waren die Gefühle der Antriebslosigkeit und Freudlosigkeit immer noch vorhanden, nur mit dem Unterschied, dass ich eben nicht jeden Tag zur Arbeit fahren musste. 

Im Januar ging es bei mir dann gleich am 2. wieder im Büro weiter und zum Glück war noch wenig los, weil vieler meiner Kollegen noch Urlaub hatten. Ich konnte also das neue Arbeitsjahr ganz in Ruhe starten und zum Glück war in der ersten Woche dann auch noch ein Feiertag, so das die Arbeitswoche etwas kürzer war. In der zweiten Arbeitswoche waren dann schon etwas mehr Kolleginnen und Kollegen wieder in der Firma und ich machte das, was ich sonst eben auch so machte, wobei ich auch hier mich nicht wirklich gut gefühlt hatte, aber wie ich damals dachte, dass sei alles soweit ok, da ich es ja auch nicht anders kannte. Allerdings war nichts gut, denn am Sonntag schaffte ich es kaum aus dem Bett und ich fühlte mich wie tot und hatte den ganzen Tag über keine Gefühle, weder Freude, noch Traurigkeit, völlige Leere. 

In der dritten Arbeitswoche hatte ich dann eine Online Schulung, zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Die Referentin stellte uns die neuen Möglichkeiten der SAP S4 Programmierung vor und ich stellte ein paar Mal Verständnisfragen, weil ich erstens den Umgang mit Eclipse, einem Editor, nicht gewöhnt bin und weil ich auch teilweise nicht richtig mitgekommen bin. Es war ja alles unbekannt für mich und diese lähmende Antriebslosigkeit und Hoffnungslosigkeit machte mir auch zu schaffen. An dem Termin am Montag, die Schulung erstreckte sich über vier halbe Tage und es war schon der dritte Termin, fragte ich sie wieder etwas, worauf hin sie mich fragte, ob es sein könne, dass ich kein Interesse an der Schulung hätte. Als ich realisierte, was sie da sagte, liefen bei mir schon die Tränen übers Gesicht und ich konnte ihr gerade noch unter Tränen erwidern, dass ihre Äußerung nicht angemessen sei. Darauf hin verließ ich die Schulung und weinte dann hemmungslos (ich war zum Glück alleine im Büro) und ich fühlte mich zutiefst verzweifelt, wertlos und beschämt, weil das meine Kolleginnen und Kollegen mitbekommen hatten. Ich konnte mich dann auch nicht mehr beruhigen und es ging sogar so weit, dass ich vor lauter Weinen angefangen habe zu zittern. Ich hatte einen regelrechten Weinkrampf. Ich habe es dann zwar noch irgendwie geschafft, den Rest des Tages im Büro auszuhalten, aber an arbeiten, war nicht mehr zu denken. Auch zu Hause ging es weiter mit der tiefen Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und dem Gefühl der Wertlosigkeit.

Am nächsten Tag ging ich zwar wieder ins Büro, aber ich fühlte mich richtig schlecht. Ich ging meinen Kolleginnen und Kollegen, so weit es ging, aus dem Weg und ich erfüllte die Aufgabe, die ich an dem Tag noch zu erledigen hatte. Ich habe dann am Vormittag bei meinem Hausarzt kurzfristig einen Termin ausgemacht. Am Abend bei meinem Hausarzt, habe ich ihm das geschildert, was passiert ist und wie ich mich fühle. Ich habe dabei weinen müssen und er hat mir dann eine Arbeitsunfähigkeistbescheinigung ausgestellt.  Damals wusste ich noch nicht, dass aus der einen Woche Arbeitsunfähigkeit insgesamt vier Wochen werden würden. Mein Arzt sagte, ich solle die Zeit nutzen Dinge zu tun, die mir gut tun. Ich solle Sport machen, spazieren gehen, mich mit Freundinnen treffen. Das versuchte ich dann auch. Ich bin also an der Uferpromenade in Friedrichshafen spazieren gegangen, habe versucht Fotos zu schießen, weil mir früher Fotografie Spaß gemacht hat und ich habe mich mit meiner Freundin Sabine in der Therme in Konstanz getroffen und ich habe regelmäßig auf meinem Heimtrainer trainiert.

Als ich die Woche darauf, wieder beim Hausarzt war, habe ich ihn um Antidepressiva gebeten. Er war sehr zögerlich, was das anging, aber er hat mir dann doch ein Rezept ausgestellt. Ich wollte einfach diese tiefe Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit los werden, egal wie und wenn es auch durch eine Pille wäre. Immer noch besser als dem Leben ein Ende zu bereiten, dachte ich. In der zweiten Woche habe ich es dann auch geschafft einen Termin bei einer Psychotherapeutin auszumachen. Das ging sogar recht kurzfristig, was mich sehr gefreut hat, aber auch verwundert hat. Ich hatte mich innerlich schon darauf eingestellt, dass ich erst in einem halben Jahr die Chance hätte, einen Termin zu bekommen. Vielleicht hat es hier doch etwas geholfen, dass ich privat versichert bin.

Als ich das Medikament von der Apotheke abholte, dachte ich mir, dass die Apothekerin jetzt sicherlich denkt, ich sei depressiv. Ja, bin ich ja auch, auch wenn mein Arzt da immer noch so seine Zweifel hat. Ich bin dann nach Hause gefahren und habe das Medikament auch gleich eingenommen und direkt darauf noch etwas gegessen, das ich beim Bäcker gekauft hatte und einen Kaffee dazu getrunken. Es war kurz vor Mittag und eine Stunde später hatte ich noch einen Termin beim Zahnarzt. Als ich mit Essen fertig war, merkte ich plötzlich, dass ich ganz dringend auf die Toilette muss, Durchfall. Das ist bei mir nichts ungewöhnliches, und ich dachte mir nichts dabei. Als ich aber so auf der Toilette saß, merkte ich plötzlich, dass irgendwas passiert. Mir ist plötzlich ganz heiß geworden, so heiß, dass ich meinen Pullover ausziehen musste. Gleichzeitig merkte ich, wie ich kalten Schweiß bekam und mein Herz fing an stark zu schlagen. Das erste was ich mir dabei dachte: So fühlt sich also eine Panikattacke an. Kurze Zeit später merkte ich, dass noch mehr passiert. Ich musste mich übergeben. Alles was ich zuvor zu mir genommen hatte, kam wieder raus und als mein Magen wieder leer war, lies auch die Panikattacke nach. Das ganze dauert nur wenige Minuten und ich konnte nur daran denken, dass ich den Zahnarzttermin unbedingt einhalten möchte, was ich auch geschafft habe.

Tags darauf, bin ich beim Hausarzt vorbei gegangen und habe die Sprechstundenhilfe gesagt, dass ich das Mittel nicht vertrage und der Arzt solle mir doch bitte ein anderes verschreiben. Ich hatte die Hoffnung, dass er mir sofort ein anderes anbieten könnte, aber leider dauerte es dann noch ein paar Tage, bis er sich mit dem hiesigen Psychiater abgesprochen hatte und ich ein neues Rezept bekommen habe. Das neue Mittel vertrage ich besser. Es ist im Gegensatz zum ersten Mittel, kein Serotonien Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer, sondern ein Noradrenalin Dopamin Wiederaufnahmehemmer.

Ich nehme jetzt also seit  über vier Wochen dieses Mittel und ich hatte inzwischen zwei Termine bei einer Psychotherapeutin, die mir dann leider nach den zwei Terminen sagte, dass sie mit ihrem tiefenpsychologischen Ansatz nicht richtig helfen könne und ich mich an eine Therapeutin wenden solle, die verhaltenstherapeutisch arbeitet. Mir geht es langsam etwas besser. Das Gefühl der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit ist inzwischen fast weg. Leider ist die Antriebslosigkeit immer noch da, auch wenn ich das Gefühl habe, dass es etwas besser geworden ist. Ich habe leider immer noch Tage, an denen ich mich bedrückt und traurig fühle, aber ich hatte inzwischen auch mal ein paar Tage, an denen ich richtige Lebenslust verspüren konnte. Jedes mal, wenn ich dies verspürt habe, hatte ich die Hoffnung, dass das jetzt endlich alles vorbei sei. Leider ist nach dem guten Gefühl, oftmals wieder das bedrückende Gefühl zurück gekommen, aber zum Glück nicht so schlimm, wie vor ein paar Wochen.  Ich weiß immer noch nicht, wie ich mit der ganzen Situation umgehen soll. Ich mache zwar etwas für mich, so gut ich kann, aber ich habe auch das Gefühl, ich muss irgendwas in meinem Leben ändern, denn wenn ich so weiter mache wie bisher, befürchte ich, dass ich wieder in dieses dunkle Loch abgleite und womöglich nicht mehr heraus komme.

Im Moment fühle ich mich zwar so weit ok, aber ich merke auch immer wieder, dass alles sehr zerbrechlich ist und ich mich bei den kleinsten Widrigkeiten wieder bedrückt, traurig und hoffnungslos fühle. So war es auch gestern, nachdem ich durch gewisse Geschehnisse am Samstag emotional abgestürzt bin. Mir fiel es gestern wieder schwer aus dem Bett zu kommen und als ich diese Hürde überwunden hatte, lag ich den Rest des Tages nur auf dem Sofa und habe mir YouTube Videos zur Ablenkung angeschaut, bis ich dann zu spät ins Bett gegangen bin. In der Nacht bin ich dann  irgendwann wach geworden und konnte erst mal nicht wieder einschlafen, weil ich mir ständig irgendwelche Gedanken gemacht habe, die mich am Einschlafen gehindert haben.

Ich hoffe, dass es mir bald wieder besser gehen wird und ich bin gerne dazu bereit, das notwendige zu tun, damit ich dieses Ziel erreiche. Ob ich es erreiche, weiß ich nicht, aber ich habe von mehreren Seiten gehört, dass das alles vorbei gehen wird. Leider fällt es mir schwer, in Zeiten in denen ich in dem schwarzen Loch sitze, daran zu glauben. Die letzten Wochen empfand ich als sehr schwierig und ich hätte gerne darauf verzichtet. Auf der anderen Seite bin ich der Schulungsreferentin dankbar, die durch ihre unbedachte Äußerung eine Lawine los getreten hat, ohne die ich jetzt wahrscheinlich immer noch versuchen würde irgendwie klar zu kommen und es hätte wahrscheinlich noch länger gedauert, bis ich wirklich etwas für mich getan hätte. Gefühlt geht es mir eben schon seit einiger Zeit nicht gut und ich kann gar nicht sagen, wann es angefangen hat. Es war ein ganz langsamer schleichender Prozess, bis eben letztens eine Äußerung, die ich normalerweise wegsteckt hätte das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Nachdem die Psychotherapeutin, mich abgewiesen hatte, hatte ich an dem Abend erst mal das Gefühl, als ob mir den Boden unter den Füssen weggezogen werden würde. Zum Glück war ich dann am nächsten Morgen erst mal so richtig sauer, nicht auf die Therapeutin, sondern auf die blöde Depression. Ich habe mir vorgenommen, dass sie mich nicht klein bekommt. Ich bin stärker als sie. Was mir auch sehr hilft, sind die regelmäßigen Gespräche mit meiner Freundin Sabine und das ich seit ein paar Wochen Tagebuch schreibe.