Sonntag, 27. Dezember 2009

Mein Coming-Out bei meinen Eltern

Das Coming-Out gegenüber seinen Eltern ist wahrscheinlich eine der heikelsten Aktionen im Leben eines transidenten Menschen. So auch bei mir. Meine Eltern sind beide gut über 80 Jahre alt und haben dementsprechend auch teilweise etwas andere Vorstellungen von dem was normal ist und was nicht und wie man sich verhalten sollte. Gut, Transidentität gilt auch heute noch bei den meisten Menschen nicht als normal. Bis heute, haben meine Eltern nichts von meiner Transidentität gewußt bzw. nur etwas geahnt und ich habe mir vorher lange überlegt, ob ich es ihnen sagen soll oder ob ich weiterhin das Versteckspiel treiben soll. Es gab mehrere Gründe, die für ein Coming-Out sprachen und natürlich auch einige, die dagegen sprachen.

Gründe gegen ein Coming-Out waren:

  • Meine Eltern könnten mich ablehnen
  • und ich kann mit der Abneigung meiner Eltern nicht umgehen.
  • Meine Eltern könnte das Coming-Out so stark mitnehmen, daß sie daran zerbrechen und sterben.
  • Ich kann mit meiner Angst gegenüber den möglichen Reaktionen meiner Eltern nicht umgehen.
Gründe für ein Coming-Out waren:

  • Ich habe das Versteckspiel satt und möchte meine Eltern nicht ständig anlügen müssen.
  • Mir ist es wichtig, daß meine Eltern mich in allen Facetten meines Lebens kennen.
  • Ich möchte die Angst vor dem Coming-Out gegenüber meiner Eltern los werden.
  • Ich bin mir meiner selbst sicher genug um mich meinen Eltern so zu präsentieren, wie ich mich fühle.
  • Ich bin kein kleines Kind mehr, sondern eine selbstständige und erwachsene Person.

Nun, alle diese Überlegungen haben mich letztendlich zu der Entscheidung geführt, daß ich meinen Eltern reinen Wein einschenken sollte und ich vor allem meine Angst davor überwinden muß. Ich habe mir also schon seit ein paar Wochen überlegt, wie ich es anfangen könnte und wann ich dies tun könnte. Ich wollte mein Coming-Out, aus naheliegenden Gründen, nicht vor Weihnachten durchführen. Ich wollte es aber noch dieses Jahr tun. Meine Wahl fiel also auf den heutigen Tag.

Es ist Sonntag und Sonntags bin ich sowieso meistens bei ihnen beim Mittagessen. Also habe ich heute diese Gelegenheit genutzt und habe nach dem Essen und nachdem das Geschirr abgeräumt war, angefangen ihnen von mir als Frau zu erzählen. Nein, natürlich nicht einfach so. Ich habe mit den Worten angefange: "Ich möchte euch etwas von mir erzählen, von dem ihr noch nichts wisst und das mir schon sehr lange auf dem Herzen liegt." Das ich ihnen bis jetzt nichts davon erzählt habe, weil ich ihnen keine Sorgen bereiten wollte. Weiter habe ich als Vorwort gesagt, daß es nichts Schlimmes sei, sondern nur ein wenig aussergewöhnlich, ja und dann habe ich angefangen, daß ich mich schon seit sehr sehr langer Zeit als weibliches Wesen wahrnehme, denn als männliches. Irgendwann habe ich dann auch das vorbereitete Fotobuch hervor geholt, in dem die besten Bilder enthalten waren, die mich und auch Farah an den vielen Ausflugszielen zeigt, die wir dieses Jahr besucht hatten.

Meine Eltern, ganz besonders meine Mutter waren natürlich erst mal ziemlich sprachlos. Zuerst sagten sie, ich solle auf gar keinen Fall, als Frau in die Öffentlichkeit. Als ich dann aber die Bilder zeigte und sie davon überzeugte, daß ich das schon lange tue, waren sie doch ziemlich geschockt. Mein Vater hat das Ganze, wie es scheint eher verkraftet, als meine Mutter. Klar, beide haben mir den kategorischen Rat gegeben, daß ich das dann eben am Wochenende ausleben soll, aber auf gar keinen Fall so in die Firma gehen darf. Aber da konnte ich sie beruhigen. Dies ist vorerst noch nicht geplant. Jedenfalls, war es heute Mittag ziemlich aufregend für mich und meine Eltern. Wir haben uns lange und breit unterhalten. Ich weiß natürlich nicht, was von meinem Versuch, sie in das Thema Transgender und Transidentität einzuführen hängen geblieben ist. Ich erwarte auch nicht, daß sie mich sofort als Frau ansehen können und mich mit Michaela ansprechen werden. Nein, ich erwarte, daß sie sich einfach erst mal mit dem Gedanken befassen, daß ich mich als Frau wahrnehme und dies auch lebe.

Kurz bevor ich mich dann von meinen Eltern verabschiedete, fragte mich meine Mutter, ob ich die Woche zum Essen kommen würde, was ich sofort bejahte und sagte, daß ich dies am Mittwoch tun würde. Dies war für mich das Zeichen, daß sie sich zwar nicht mit dem Gedanken angefreundet hat, daß ich eine Frau bin, aber sie hat damit signalisiert, daß man wieder zur Normalität zurückkehrt und die Ausnahmesituation Coming-Out jetzt beendet ist. Ich werde also bei der Gelegenheit meinen Eltern ein paar Videos von mir und Farah zeigen und ich hoffe, daß sie sich mit der Zeit daran gewöhnen können, daß ich eben doch eine Frau bin.

Ich fühle mich nach der heutigen Aktion auf der einen Seite erleichtert, daß ich meine Angst vor dem Coming-Out überwunden habe und auf der anderen Seite fühle ich mich schuldig und hoffe, daß es auch wirklich richtig war, meine Eltern von den Gefühlen zu berichten, die mich seit sehr sehr vielen Jahren beschäftigen und antreiben. Was daraus wird, kann letztendlich nur die Zukunft zeigen. Denn eines ist auch klar, ein Zurück gibt es hier nicht mehr.

7 Kommentare:

  1. Hmmm... nicht so euphorisch. Im Moment haben sie es erstmal hingenommen. Wie sie darüber denken, dass dürftest Du am Mittwoch erfahren. Denn dann ist die Neuigkeit bei ihnen "gesackt" und sie werden Dir zu verstehen geben, was sie davon halten. Dann gibt es mehrere Möglichkeiten. Erstens, sie akzeptieren es nach uns nach und Du "darfst" auch als Frau erscheinen. Oder aber sie akzeptieren es, wollen Dich aber nicht als Frau sehen und Drittens, sie geben Dir zu verstehen, dass Du enterbst wirst. Wobei die letzte Möglichkeit vermutlich nicht eintreten wird, denn dann hätten sie heute schon anders reagiert.
    Auf jeden Fall wird es interessant werden die Entwicklung zu verfolgen.

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  2. das hast du sehr gut gemacht ! du hast ein recht auf dein leben - deshalb versuch die schuldgefühle beiseite zu lassen. du hast für dich und von dir gesprochen, das ist sehr mutig. glg nico

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  3. Liebe Michaela,
    ich finde, die Entscheidung, es Deinen Eltern zu sagen, trotz allem was dagegen sprach (besonders das hohe Alter Deiner Eltern), mutig und richtig. Und ich denke, eine extreme Abwehrhaltung wird nicht mehr kommen, denn die hätten sie, wie Chrisi schon schrieb, bereits gestern eingenommen.
    Für Dich und Dein weiteres Leben war dieses Coming-Out sehr wichtig. Da Deine Eltern nicht mehr die Jüngsten sind und die Natur ihren Lauf nehmen wird, glaube ich, es wäre für Dich zu einer lebensbegleitenden Belastung geworden, wenn Du es ihnen verschwiegen hättest und sie es nie erfahren hätten. Wie auch immer sie schlussendlich reagieren werden: Du hast Dich offenbart und bist diese Last für immer los.
    Ich wünsche Dir viel Glück und alles Liebe!
    Bea

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  4. Liebe Michaela,

    ich habe diesen Beitrag zweimal gelesen. Ich muss ehrlich sagen, ich habe hinter deinem schoenen Namen nicht eine solche Geschichte erwartet, weil ich dich ja gar nicht kannte und ich dich erst heute kennengelernt habe, online.

    Ich finde es aber sehr richtig, dass du das deinen Eltern (endlich) gesagt hast.Es ist bestimmt fuer dich jetzt ein sehr befreiendes Gefuehl.

    Ich kann aber auch die Reaktion deiner Eltern sehr gut verstehen. Du kannst nicht erwarten, dass sie dir vorbehaltlos um den Hals fallen, wenn du ihnen so etwas eroeffnest. Sie haetten aber auch ganz anders reagieren koennen, nicht wahr?

    Sie brauchen auch ihre Zeit "zum Verdauen" wie du sie gebraucht hast, um es ihnen zu sagen.

    Lass die Zeit spielen, dann kommt alles wie es muss! Die Zeit ist immer ein guter Therapist!

    Bin gespannt auf deinen naechsten Bericht! Bis dann... und in dem Sinne wuensche ich dir von Herzen ein gutes, neues Jahr mit vielen NUR guten Ereignissen.

    Susanne

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  5. Gründe, die dagegen sprechen: Deine Eltern sind über 80 Jahre alt. Lass doch die alten Leute in Frieden damit. Die paar Jahre wird das Spiel schon gehen.

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  6. @Anonym: Diese Haltung hatte ich auch lange genug. Dies finde ich aber heuchlerich und falsch. Immerhin kennen meine Eltern dadurch nur einen Teil meiner Persönlichkeit. Ausserdem auf den Tod eines geliebten Menschen zu hoffen ist meiner Meinung nach nicht in Ordnung. Meine Eltern sind zwar schon weit über 80 Jahre alt, aber ausser den üblichen altersbedingten Krankheiten sehr gesund und auch geistig fit. Ich gehe mal davon aus, das meine Eltern vielleicht noch 20 Jahre leben können. In 20 Jahren bin ich selbst im Rentenalter. Nein, ich werde nicht so lange warten, aber durchaus so lange, daß sie sich so halbwegs an meine weibliche Seite gewöhnt haben.

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  7. "heuchlerisch und falsch" ... das sind genau die richtigen Worte.
    Es war noch nie in Ordnung, unaufrichtig zu sein. Ich finde, Du hast alles genau richtig gemacht und ich glaube auch, dass es Deinen Eltern lieber ist, eine vielleicht unangenehme Wahrheit zu wissen, als belogen zu werden.

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